Europa der Verteidigung oder Europa der Sicherheit?

In English en Français en Español in Italiano

Le Taurillon, 26. Oktober 2021

Es wäre ein einträgliches Geschäft gewesen, wenn es denn zustande gekommen wäre: Die Lieferung von zwölf U-Booten mit herkömmlichem Antrieb an Australien. Ein Vertrag im Wert von rund 55 Milliarden Euro, davon offensichtlich die Hälfte für den französischen Industriekonzern Naval Group. Der Vertrag wurde jedoch von Australien schlichtweg storniert, zugunsten von U-Booten mit Atomantrieb aus den USA und Großbritannien. „Verrat“, „Dolchstoß in den Rücken“, „Versuch, die französische Rüstungsindustrie auszuschalten“, „strategischer Vertragsbruch“, „Affront gegen Frankreich“, „Vertrauensbruch“, Rückruf des Botschafters usw. Am wenigsten konnte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian seine Emotionen verbergen, der die USA und Australien als „ehemalige Verbündete“ bezeichnete 1.

Die Empörung war umso größer, als die Stornierung des Vertrags durch Canberra und vor allem das Besiegeln des strategischen Militärbündnisses AUKUS zwischen Australien, Großbritannien und den USA wenige Wochen nach einem anderen wichtigen Ereignis erfolgte: dem „überraschenden“ Rückzug aus Afghanistan. Bereits diese Entscheidung hatte die strategische Ruhe erschüttert, die Europa glaubte, mit der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten zurückerlangt zu haben.

Zwischen diesen beiden Ereignissen besteht ein enger Zusammenhang. Beide zeigen, dass im Pentagon und im Außenministerium die Politik von „Asien als Dreh- und Angelpunkt“ ausgereift ist; diese wurde zum ersten Mal vor zehn Jahren von US-Präsident Obama öffentlich erwähnt, und zwar in Australien. Natürlich geht es bei diesem politischen Umschwung in erster Linie darum, die China-Frage in der US-Außen- und Sicherheitspolitik offiziell in den Mittelpunkt zu stellen. Allerdings betrifft diese nicht ausschließlich die USA, sondern alle Länder, denen die Freiheit allgemein und die Freizügigkeit in dieser Region der Welt wichtig sind. Dieser Dreh- und Angelpunkt bedeutet im Übrigen mehr, als die Bezeichnung vermuten lässt. Er bezieht ebenfalls das Problem der Säkularisierung in muslimischen Ländern ein, besonders die Schwierigkeit, dort aufgrund der Struktur des Islam den Rechtsstaat und die Demokratie zu verankern. Das gilt vor allem für Länder, die an antidemokratische Mächte grenzen und für solche, in denen auf Islam und Nationalismus gründende Systeme regieren. Afghanistan, dessen Nachbarn die Volksrepublik China, Pakistan und der Iran sind, ist in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel.

Daraus ergibt sich, dass die Containment-Strategie der USA gegenüber der Volksrepublik China in Zukunft vor allem auf einer maritimen Strategie basiert. Aus dieser Sicht ist das Bündnis mit Australien und dem Vereinigten Königreich durchaus logisch, ebenso wie aufgrund der Werte, Interessen und Sprache, die diese Länder mit den USA gemeinsam haben. Australien und das Vereinigte Königreich waren bereits durch die UKUSA-Vereinbarung 2 mit den USA verbunden, das Vereinigte Königreich im Rahmen der Nato und durch den gemeinsamen Militärstützpunkt im indischen Ozean 3, so dass es logisch scheint, sie als bevorzugte Verbündete zur Umsetzung von „Asien als Dreh- und Angelpunkt“ zu wählen. Daran, dass sie nicht die einzigen bleiben werden, bestehen kaum Zweifel. Parallel hierzu wurde sich Australien durch die Einführung von massiven Strafzöllen auf australische Produkte durch Peking, nachdem Canberra unabhängige Untersuchungen zum Ursprung der Covid-19-Pandemie gefordert hatte, sowie den Ausschluss von Huawei vom australischen 5G-Aufbau schneller der von China ausgehenden Bedrohung bewusst. Nicht zuletzt ist Australien das einzige Land der Region, das über echten strategischen Tiefgang verfügt.

Wie Luc de Barochez – einer der wenigen französischen Kommentatoren, die sich nicht aus der Fassung bringen ließen – betonte, basiert die Entscheidung Australiens nicht in erster Linie auf kommerziellen Gründen, sondern vor allem auf strategischen. „(…) aus Sicht des Inselkontinents können die USA die Sicherheit gegenüber China besser gewährleisten als Frankreich. Das von Washington angebotene Atom-U-Boot ist schneller und seine Tomahawk-Marschflugkörper wirken abschreckender als die französischen Raketen.“ 4

Aber in Frankreich ist die Politik der „Übertreibung“, deren Erfinder und bester Interpret Charles de Gaulle bleibt, in weite Teile des Establishments und der öffentlichen Meinung durchgesickert, so dass im Hexagon eine virtuelle Realität entsteht, eine Art Nabelschau, gegen die offensichtlich selbst Arithmetik und strategische Überlegungen nichts mehr ausrichten können. 5

Aber egal, was viele – besonders französische – Beobachter denken: im Laufe der Zeit wird der AUKUS-Pakt den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugutekommen. Erstens, weil es sich nicht nur um ein wichtiges Militärbündnis zwischen den drei direkt betroffenen Staaten handelt. Das Abkommen zeigt vor allem, dass in Anbetracht des beeindruckenden militärischen Aufstrebens der Volksrepublik China und der gleichzeitigen Beschleunigung ihrer Verwandlung von einer Diktatur in ein nationaltotalitäres System der neuen Generation eine echte Strategie existiert. Ein in diesem Zusammenhang nicht unbedeutendes Paradox besteht darin, dass das Bündnis auch der französischen Sicherheit nützen wird: Der AUKUS-Pakt bietet für die Sicherheit Polynesiens, dessen Verteidigung von Paris aus man sich nur schwer vorstellen kann, nicht zu vernachlässigende zusätzliche Garantien. 6

So kommen wir von der Grundsatz- zur Formfrage, also zu den Modalitäten der Stornierung des Vertrags zwischen Naval Group und der australischen Regierung und des Zustandekommens von AUKUS. Die französischen Behörden wurden weder über die Stornierung des U-Boot-Vertrags informiert, noch schlug man ihnen vor, dem AUKUS-Pakt beizutreten, über dessen Abschluss sie nicht einmal im Voraus informiert wurden. Die angeführte Erklärung, das sei darauf zurückzuführen, dass die Regierungsbildung in den USA noch nicht ganz abgeschlossen sei, weil der Senat bestimmte Ernennungen blockiert, überzeugt kaum jemanden. In der Tat kann man sich nicht vorstellen, dass US-Außenminister Antony Blinken nicht an den Verhandlungen beteiligt war oder dass er nicht die sechs oder sieben wichtigsten Verbündeten der USA hätte informieren können, wenn die Regierung dies gewollt hätte. Dass keine Information an Frankreich erging, ist nur schwer zu leugnen ; die Reaktionen verschiedener asiatischer Persönlichkeiten zeigen dagegen, dass sie vom Abschluss des AUKUS-Pakts nicht wirklich überrascht waren.

Derzeit werden in Europa zahlreiche Stimmen laut, die das Thema einer europäischen Verteidigungspolitik wieder an die Tagesordnung bringen wollen. Um in der Debatte um die europäische Verteidigung Unverständnis, Missverständnisse und Vorschläge, die ins Leere verlaufen, zu vermeiden, müssen wir daher unbedingt versuchen, die Gründe zu verstehen, die dem Verhalten der US-Regierung Frankreich gegenüber zugrunde liegen.

Etwas brutal ausgedrückt könnte es sich um Folgendes handeln: Das Erste, was die US-Regierung Frankreich, und über dieses Land auch dessen europäischen 7 und nicht europäischen Verbündeten zu verstehen geben wollte, war, dass sich Art und Umfang der Politik gegenüber der Volksrepublik China geändert haben. Dieser Paradigmenwechsel bedeutet, dass alle Verbündeten der USA in ihren diplomatischen Beziehungen zu Peking über weniger Spielraum verfügen. In anderen Worten sind die Zeiten von Alleingängen vorüber, man spricht sich jetzt vorher ab. 8

Zweitens soll in Erinnerung gerufen werden – und zwar mit mehr Feingefühl als es Ex-US-Präsident Trump unter Beweis stellte – dass es einerseits nicht gerade elegant gegenüber denjenigen ist, die seit 75 Jahren einen Großteil der Verantwortung und der Kosten für die Verteidigung Europas tragen und deren Rolle in der Normandie allen bekannt ist, vom „Hirntod der NATO“ zu sprechen, und andererseits angesichts der enormen „Fähigkeitslücken“ 9 der europäischen Länder auch völlig fehl am Platze. In anderen Worten gibt es für die Verteidigung des europäischen Kontinents keine Alternative zur NATO. Die Länder des Bündnisses müssen daher ihr beim NATO-Gipfel 2014 in Newport, Wales, gemachtes Versprechen, 2024 mindestens 2 % ihres Haushalts für die Verteidigungspolitik aufzuwenden, halten. Darüber hinaus müssen die europäischen Länder in ihren Beziehungen zu Moskau – genau wie zu China – Zurückhaltung zeigen.

Dieser von den USA initiierte Paradigmenwechsel hindert die Europäer zwar nicht daran, Initiativen im Hinblick auf Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu ergreifen, aber er trägt zweifellos zu deren Gestaltung bei, vor allem, indem er bei den Bedrohungen eindeutig eine Prioritätenreihenfolge festlegt: zuerst die Volksrepublik China, anschließend Russland.

Zu diesen beiden Bedrohungen kommen zwei weitere hinzu, die besonders Europa betreffen: einerseits die Sicherheit im Mittelmeer, in Nahost, im Maghreb und in der Sahelzone und andererseits der Zusammenhalt der Europäischen Union.

Reale und gefühlte Bedrohungen

Von den vier genannten Bedrohungen, die jeweils unterschiedlich wahrgenommen werden, aber real sind, ist die vierte – der Zerfall der Union – sicherlich diejenige, der die Mitgliedstaaten die größte Aufmerksamkeit widmen sollten. Das setzt echte Entschlossenheit voraus, die Bedrohungen, die die einzelnen Staaten für prioritär halten, zu verstehen und zu berücksichtigen. In anderen Worten muss die Europäische Union mehrere Antworten gleichzeitig finden – auf die Bedrohungen aus dem Osten sowie im und um das Mittelmeer – und sie muss ihren Beitrag zur Containment-Politik gegenüber der Volksrepublik China leisten. Die Berücksichtigung dieser drei Bedrohungen durch die Europäische Union ist eine unbedingte Voraussetzung für ihren weiteren Zusammenhalt.

Schluss mit dem Strategiegewirr

Mit einem solchen Ansatz könnten die Voraussetzungen dafür erfüllt werden, dem „Strategiegewirr“ 10 zu entkommen, das heute innerhalb der Union herrscht. Er setzt voraus, dass der „Rosinenpickerei“ ein Ende gesetzt wird – der Politik, die darin besteht, durch Initiativen oder Ad-hoc-Bündnisse auf die Bedürfnisse einzelner Länder einzugehen. So haben sich Deutschland, Frankreich und Spanien zusammengeschlossen, um ein Jagdflugzeug der fünften Generation zu entwickeln, Italien und Frankreich für den Bau von Fregatten, Deutschland und die Niederlande gründeten ein gemeinsames Heereskorps, Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Brigade, das Vereinigte Königreich und Frankreich führten zusammen einen Militäreinsatz in Libyen durch, Frankreich und Indien schlossen ein Sicherheitsabkommen für den Indischen Ozean, Frankreich und Deutschland wollen gemeinsam den Panzer der Zukunft bauen, Griechenland und Frankreich zusammen für Sicherheit in der Ägäis sorgen usw. In derartige Abkommen fließen in unterschiedlichem Maße strategische Überlegungen sowie militärische und industrielle Interessen ein, wobei es oft überhaupt nicht möglich ist, zu bestimmen, was vorherrscht. Am stärksten beunruhigt die letztgenannte Initiative, nämlich die politisch-militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Griechenland, denn sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass nicht die Interessen sämtlicher Mitgliedstaaten berücksichtigt werden und also dafür, dass die Union nicht der Ort ist, an dem den Interessen aller Rechnung getragen wird – das erinnert stark an den Militäreinsatz Frankreichs und des Vereinigten Königreichs in Libyen.

Stellungnahmen wie diejenige des schwedischen Verteidigungsministers Peter Hultqvist, der sich mit viel Humor gegen die Aufbau einer europäischen Interventionsstreitmacht 11 aussprach – im Namen der NATO, der sein Land nicht angehört – erschweren die Entwicklung, ebenso wie solche aus Mittelmeeranrainerstaaten, die Russland nicht als echte Bedrohung sehen oder der Meinung sind, dass die Situationen in der Ukraine oder Weißrussland nichts mit der Sicherheit der Europäischen Union zu tun haben.

Zu komplizierte Situationen vermeiden

Wir halten auch den Vorschlag von Josep Borell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, eine 5.000 Soldaten starke schnelle Eingreiftruppe zu gründen 12, von der Methode her nicht für seriös.

Erstens, wie der italienische General Maurizio Boni 13 betont, weil die Größe dieser Truppe nur auf der Basis der Ziele berechnet werden kann, die zu erreichen sie in der Lage sein muss – diese Ziele sind von der Union und ihren Mitgliedstaaten festzulegen. Die Krisensituationen, denen sich die EU in der Vergangenheit gegenüber sah, können uns allerdings helfen, eine Mindestgröße für diese gemeinsame europäische Armee zu bestimmen.

Wenn eine europäische Eingreiftruppe eine Stabilisierungsoperation wie die 2015 – vier Jahre nach dem gemeinsamen Abenteuer von Sarkozy und Cameron – in Libyen geplante hätte durchführen sollen, wären mindestens 28.000 Soldaten erforderlich gewesen, um die Sicherheit in „Tripolitanien“ (Tripoli und dessen Flughafen sowie die unmittelbar benachbarten Gebiete) wirksam zu sichern. Nach den Kriterien der NATO 14 würde das einer Armee mit mindestens 100.000 Soldaten entsprechen. Die US-Evakuierungstruppe in Afghanistan zählte 6.000 Soldaten vor Ort (und wahrscheinlich ebenso viele im „Back Office“), wobei die Operation zeitlich stark begrenzt war.

Um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, müsste eine solche Eingreiftruppe unbedingt völlig unabhängig von den Armeen und Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten sein. In anderen Worten müsste sie die Armee aller Mitgliedstaaten „gemeinsam“ sein, aus europäischen Soldaten bestehen und den europäischen Institutionen unterstehen.

EU-Verteidigungsgipfel

Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen hat für das Frühjahr 2022 einen europäischen Verteidigungsgipfel angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt wird Frankreich den Unionsvorsitz innehaben und gleichzeitig wird dort der Wahlkampf stattfinden. Leider lässt die Bezeichnung befürchten, dass dieses Treffen im Zeichen der sterilen, unüberwindbaren Opposition zwischen den NATO-Anhängern einerseits und den Verteidigern der strategischen Unabhängigkeit der Union andererseits stehen wird. Wie wir feststellen konnten, sieht sich die Union Bedrohungen zweierlei Art gegenüber. Die Bedrohung aus dem Osten betrifft eher die Verteidigung, während es bei den Bedrohungen im Mittelmeerraum und im Pazifik vorwiegend um Sicherheit geht.

Die „Fähigkeitslücken“ vieler Mitgliedstaaten von EU und NATO sind darüber hinaus so groß, dass wir die Bezeichnung „Europäischer Verteidigungsgipfel“ selbst für halbherzig und damit unpassend halten. Das heißt nicht, dass keine Initiativen im Zusammenhang mit der Verteidigung ergriffen werden können. Für uns bedeutet es vielmehr, dass das derzeit nicht das Wichtigste ist. Die Priorität in Bezug auf die Verteidigung wäre vielmehr, dass die Europäer einerseits ihr ständiges Klagen über ihre vermeintlich unzureichende Berücksichtigung durch die USA einstellen, das einer wahrhaftigen Unterwerfungshaltung gleichkommt, dafür aber ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO einhalten, und dass sie andererseits direkte Verantwortung für die Sicherheitspolitik übernehmen.

Entkoppelung von Verteidigungspolitik und europäischer Sicherheitspolitik

Wir sind der Meinung, dass die EU-Mitglieder zu Beginn des Gipfeltreffens feierlich ihre Treue zur NATO bestätigen sollten. Auf dieser Grundlage könnten die EU-Mitgliedstaaten, die dies wünschen, die europäische Sicherheitspolitik zu einer echten gemeinsamen (und gemeinschaftlichen) Politik machen, die die Form einer verstärkten Zusammenarbeit 15 mit dem Ziel der Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee 16 annehmen könnte, für die man sich auf die Verteilung der entsprechenden Finanzierungen auf Verteidigung und Sicherheitspolitik einigen müsste. Beispielsweise könnten 1,7 % der Landesverteidigung und 0,3 % der europäischen Sicherheitspolitik zugewiesen werden. Diese Armee wäre unabhängig; sie würde der Verantwortung der EU-Institutionen und nur in einer der in Artikel 5 des Nordatlantikvertrags aufgeführten Situationen der integrierten Kommandostruktur der NATO unterstehen 17.

Die Prioritäten der europäischen Sicherheitspolitik und die Aufgaben der gemeinsamen Armee könnten wir folgt definiert werden (wobei diese Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt). Sie sollte:

1)    in der Lage sein, Operationen zur Stabilisierung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Friedens im gesamten Mittelmeerraum und in der Sahelzone durchzuführen;

2)    in der Lage sein, Operationen zur Rettung europäischer Bürger durchzuführen;

3)    zur Sicherheit in der Ägäis beitragen;

4)    zur Sicherheit im Schwarzen Meer beitragen;

5)    in der Lage sein, die Sicherheit einer Gaspipeline zwischen den zypriotischen und israelischen Gaslagerstätten und dem europäischen Kontinent zu gewährleisten;

6)    bei der Sicherung der Freizügigkeit im indischen Ozean und im Pazifik mitwirken.

Die Europäische Union könnte auch den USA und den NATO-Mitgliedstaaten, die nicht der Union angehören, vorschlagen, die Bewerbung der Ukraine um den NATO-Beitritt für zehn Jahre einzufrieren und dafür die umgehende Eröffnung von Verhandlungen über den EU-Beitritt der Ukraine anbieten.

Sicherlich wäre ein derartiges Szenario weniger ehrgeizig als das von den Ministerpräsidenten der Niederlande und Spaniens, Mark Rutte und Pedro Sanchez, vorgeschlagene und vom deutschen Außenminister Heiko Maas unterstützte, Einstimmigkeitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik abzuschaffen. Andererseits würden sich die Staaten aber auf freiwilliger Basis beteiligen, so dass hier mit größerer Wahrscheinlichkeit Hürden wie das Veto bestimmter Mitgliedstaaten vermieden werden könnten.

Dieses Szenario wäre weit von der „echten Souveränität“ 18 entfernt, die sich der französische Präsident wünscht. Es hat wahrhaftig nicht zum Ziel, als Grundlage für eine strategische Unabhängigkeit der Union zu dienen – wie wir gesehen haben, ist eine solche auf kurze und mittlere Sicht ganz einfach unmöglich. Vielmehr verfolgt es die bescheidenere Absicht, die Voraussetzungen für eine gewisse, aber echte strategische Autonomie der Union zu schaffen. Es verleiht uns – um es mit den Worten von Emmanuel Macron zu sagen – die „Fähigkeit, für uns selbst zu entscheiden“ 19, wenn es um Themen geht, die in erster Linie die Europäer betreffen.

Die Frage ist, ob der französische Präsident und mit ihm die anderen Staats- und Regierungschefs bereit sind, die Verträge zu ändern, damit die Europäische Union diesen Weg einschlagen kann. Um es nüchterner auszudrücken: Wären sie bereit, die Abschaffung der restriktiven Vorschriften bezüglich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den aktuellen Verträgen zu befürworten? Oder zumindest die Vertragsartikel zu ändern, die Fragen in Bezug auf Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung von der verstärkten Zusammenarbeit ausschließen, um einer Gruppe von Mitgliedstaaten Fortschritte zu ermöglichen?

That’s the question.

 

 

 

Email to someoneShare on Facebook0Google+0Share on LinkedIn0Tweet about this on Twitter0share on Tumblr

Notes:

  1. Im TV-Sender France 2 am 18. September 2021
  2. UKUSA, auch „Five Eyes“ (fünf Augen), Verträge über die enge Zusammenarbeit der Geheimdienste zwischen Australien, Kanada, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und den USA
  3. Gemeinsam betriebener Militärstützpunkt Diego Garcia
  4. „Du bon usage du Trafalgar australien“, Luc de Barochez, le Point, 23. September 2021
  5. Im Jahr 2019 betrug der Verteidigungshaushalt Frankreichs 50.119 Millionen Dollar, derjenige der USA 734.344 Millionen Dollar und derjenige der Volksrepublik China 244.333 Millionen Dollar.
  6. Brisbane – Papeete: 5.946 km; Shanghai – Papeete: 10.904 km; Toulon – Papeete: 16.342 km.
  7. Das gilt besonders für die EU-Staaten, die NATO-Mitglieder sind und die es absolut nicht eilig haben, 2 % ihres Haushalts im Jahr 2024 der Verteidigung zu widmen. Den Daten des SIPRI von 2019 zufolge beträgt der Anteil in Deutschland 1,3 %, in Belgien 0,9 %, in Spanien 1,2 %, in den Niederlanden 1,3 %, in Slowenien 1,1 %, in der Tschechischen Republik 1,2 %, in Luxemburg 0,6 % und in Italien 1,3 %.
  8. In einer derartigen Situation ist ein Wiederaufleben von CoCom oder Chincom, der Coordinating Committees for Multilateral Export Controls(Koordinationsausschüsse für Ost-West-Handel, der erstgenannte für die Sowjetunion und der zweite für die Volksrepublik China) nicht auszuschließen.
  9. Illusions of Autonomy: Why Europe Cannot Provide for Its Security If the United States Pulls back, Hugo Meijer, Stephen G. Brooks, MIT Press Direct, Frühjahr 2021
  10. Hugo Meijer, Stephen G. Brooks, ebd.
  11. „Non NATO-member Sweden rejects EU rapid reaction force“, Euractiv.com, 6. September 2021
  12. Operationell würde das einer Verlegefähigkeit von 1500 Soldaten entsprechen.
  13. „La chimera della forza di reazione rapida europea“, Maurizio Boni, AD AnalisiDifesa, 7. September 2021
  14. Ruhezeit für ein Drittel der Soldaten, ein Drittel nimmt an Übungen teil und ein Drittel befindet sich im Einsatz
  15. Vorschlag zur verstärkten Zusammenarbeit mit dem Ziel der Gründung einer gemeinsamen europäischen Armee im Dienste der europäischen Sicherheitspolitik
  16. Drei schnelle Eingreiftruppen, drei Flugzeugträgerkampfgruppen, 100.000 Soldaten.
  17. „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.“
  18. Gespräch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit dem amerikanischen Think Tank „Atlantic Council“ am 4. Februar 2021 über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den USA und den Multilateralismus.
  19. Gespräch mit Emmanuel Macron, ebd.

4 thoughts on “Europa der Verteidigung oder Europa der Sicherheit?

  1. Pingback: Europe of defence or Europe of security? - L'Européen

  2. Pingback: ¿Europa de la defensa o Europa de la seguridad? - L'Européen

  3. Pingback: Europa della Difesa o Europa della Sicurezza? - L'Européen

  4. Pingback: Europe de la Défense ou Europe de la Sécurité ? - L'Européen

Laisser un commentaire

Votre adresse de messagerie ne sera pas publiée. Les champs obligatoires sont indiqués avec *